Als ich noch beim Fernsehen arbeitete, recherchierte ich eine Geschichte über Wachkoma-Patienten. Die Recherche war unglaublich mühselig und langwierig – viel schwieriger, als ich vorher angenommen hatte. Nach zwei Wochen war klar, dass ich darin nichts verdienen würde (ich wurde nach Sendeminuten bezahlt). Aber mir war genau so klar, dass ich nicht bereit war, das Thema fallen zu lassen. Die Geschichte berührte mich.

Die Patienten, die mit offenen Augen in ihren Betten lagen. Dich ansahen – und trotzdem nichts sahen. Die scheinbar nichts von Ihrer Umwelt bemerkten. Ich stand in Kontakt mit einem Pflegeheim, das ausschließlich Wachkoma-Patienten betreute. Eine ihrer Patientinnen war nach langer Zeit aus dem Wachkoma erwacht. Ich wollte sie interviewen, fragen, ob sie sich an die Zeit im Koma erinnern konnte. An ihr Leben vor dem Koma.

Pfleger und Angehörige wollten die Patienten vor Bloßstellung schützen – sie waren unsicher, ob sie mit dem Fernsehen zusammen arbeiten wollten. Doch in langen Gesprächen konnte ich sie überzeugen, dass ich nicht „das Fernsehen“ war. Langsam merkte die Heimleitung, merkten die Pfleger, dass ich das Thema wirklich verstand. Meine Leidenschaft für die Geschichte, meine Empathie für die Betroffenen imponierte ihnen. Wir bekamen eine Drehgenehmigung.

Der Dreh und das Interview berührten mich sehr. Ich hatte Unmengen an Rohmaterial, aus dem ich sorgfältig einen achtminütigen Beitrag schnitt. Der Beitrag ging zur Vertonung zum Sender – ich war zufrieden.

Am nächsten Abend sollte der Beitrag laufen. Und ich tat, was ich sonst fast nie tat: Ich schaltete den Fernseher ein, um den Beitrag zu sehen.

Der Beitrag begann. Mit Bildern, die ich nie gesehen, nie gedreht hatte. Irgendwo in Südamerika war eine Frau nach 16 Jahren aus dem Koma erwacht. Wohl gemerkt: Koma, medizinisch etwas völlig anderes als Wachkoma. Beim Sender wusste das allerdings niemand – und es interessierte auch niemanden. Die beiden Geschichten wurden verschmolzen zu einem reißerischen, inhaltlich völlig unsachlichen Brei. Dazwischen O-Töne meiner Wachkoma-Patientin.

Als die acht Minuten vorbei waren, hatte ich einen heißen Kopf. Das Telefon klingelte.

Es war das Pflegeheim.

Ich weiß nicht mehr, was sie sagten. Ich erinnere mich nur, dass ich mich entschuldigte. Immer wieder. Es tat mir so unendlich Leid.

Sie hatten an meine Loyalität, an meine Zuverlässigkeit geglaubt. Und sie waren verraten worden. Es tat nichts zur Sache, ob es meine Schuld war oder nicht. Es war meine Recherche, mein Beitrag, mein Versprechen.

Am nächsten Morgen begann der erste Tag, an dem ich wusste, dass ich nicht für immer Fernsehen machen wollte. Es dauerte noch einige Jahre bis hier her, aber der Entschluss, selbstbestimmt zu arbeiten, wurde damals geboren. Ich möchte ein Unternehmen führen, in dem Versprechen gehalten werden. In dem ich mit meinem Wort einstehe für das, was wir tun, und auch dafür einstehen KANN.

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